Rollende Smarties

Autor
Christina Feuerstein
Datum
21.05.2011

„Die höchste Form des Glücks ist ein Leben mit einem gewissen Grad an Verrücktheit“

Diese wirklich weisen Worte hat vor über 500 Jahren der Gelehrte Erasmus von Rotterdam geäußert. Woher wusste er das? Es war damals ganz sicher keine leichte und entspannte Zeit, und verrückte Situationen gab es, wenngleich auch unfreiwillig und weniger schön, sicher an fast jeder Ecke. Oder war Erasmus vielleicht sogar der erste Randonneur??

BRM600 2011Mal unter uns: Hätte mir früher jemand etwas über Randonneure erzählt, dann wäre mir sicher auch als erstes Wort „verrückt“ eingefallen. Wer fährt schon freiwillig so lange Strecken? Und dann noch am Stück? Aber was ist schon verrückt? Ist Verrücktsein überhaupt so einfach zu definieren, oder ist ein bestimmter, individueller Zustand? Die Frage kann aus meiner heutigen Sicht unmöglich in wenigen Sätzen abgehakt werden.

Als „Neu-Randonneurin“ und Triathletin, hatte ich mich bislang (zusammen mit meinem Vereinskollegen Chris) an dem 400er letztes Jahr und die komplette Serie in diesem Jahr herangewagt. Es war letztes Jahr für mich eine neue und auch extrem zehrende Erfahrung, als ich zum ersten Mal länger als 160 km (fast) ununterbrochen im Sattel saß, noch dazu mit einem schwereren Rad und einem prall gefüllten Rucksack. Das Wetter war vor Freudenstadt auch nicht mehr auf unserer Seite und ein Dachs hatte sich dann auch noch überflüssigerweise bei der nächtlichen Tour in mein Vorderrad verirrt. Dennoch kamen wir noch, nach einem kurzen „Boxen-Stop“ in der Vorhalle einer Sparkasse, pünktlich im Zeitlimit in Freiburg an. Chris war bereits vorher schon von den vielen Berichten infiziert und außer mir wollte sich kein anderer Vereinskollege mit in das Abenteuer Brevet stürzen. Stattdessen hielten sie uns auch für „verrückt“ und nicht „ganz bei Sinnen“. Gehört sich das etwa nicht für Triathleten, oder müssen sich alle Triathleten immer einem Wettkampf stellen? Ich sah das nicht so, außer, dass es ein Wettkampf gegen sich selbst und natürlich auch ein Wettkampf gegen die Zeit darstellte. Hinzu kamen die neuen Eindrücke und Erlebnisse auf so einer Tour. Also eine willkommen Abwechslung! Was ich damals nicht  wusste: dass noch viel mehr dahinter steckte als nur zu treten…

Ich habe nach dem 600er noch dieses Bild vor Augen, als sich die ca. 100 „Verrückten“ Samstagmorgens, kurz nach 8 Uhr, gemeinsam in einem riesigen Pulk durch die Straßen Freiburgs kämpfen. Die Autofahrer wurden dieses eine Mal selber in die undankbare Rolle des wartenden Verkehrsteilnehmers gedrängt, denn an uns kamen sie so einfach nicht mehr vorbei. „Wie ein riesiges Feld rollender, bunter Smarties“ schoss es mir beim Anblick dieser bunten Horde durch den Kopf.
Ein wirklich erhabenes Gefühl machte sich breit, zusammen mit Chris als schwarz-weiß-rote Smarties (die Farben unseres Vereins und zufälligerweise auch unserer Räder) ein Teil dieses Pulks zu sein.  

Die Gemeinschaft

Schnell teilte sich das große Feld der „verwegenen Kerle und Mädels (immerhin 4!)“ in mindestens zwei oder drei Gruppen auf, und man fand sich ebenso schnell in einer kleineren Gemeinschaft wieder, die ein ähnliches Tempo fuhr.BRM600 2011
Die ersten Kontakte wurden bei schönstem Sonnenschein geknüpft und der höhere Schnitt ließ uns dann sehr zuversichtlich zum ersten Kontrollpunkt in Porrentruy.  sausen. Die Hitze war bereits nicht mehr zu verleugnen und nach einer kurzen Trink-Essens- und Fotopause (Danke an Jörg für das bezeichnende Foto als kauernde Clochards!) ging es weiter mit ein paar Mitfahrern zur der namenslosen Möbelfabrik.  Da war es dann: dieses märchenhafte schöne Doubs-Tal, von dem Jochen mir im Vorfelde vorgeschwärmt hatte. Leider konnten wir die Schönheit nur rollend genießen, aber es war ein tolles Erlebnis.

Da ich die Randonneure meistens nur von hinten sehe, musste ich mir also anhand von anderen Merkmalen die Menschen unter dem Helm und über dem Rad einprägen. Mal war es eine auffällige Beschriftung des Trikots oder der Hose; eine schiefhängende Gepäckträgertasche (Gruß an Werner!); oder andere, auffällige Taschen, Rucksäcke, Anbauteile, etc. So tauschten Chris und ich uns die gesamte Fahrt über unsere Begegnungen in Form von besonderen Auffälligkeiten unserer Mitfahrer aus, da wir die Namen nicht kannten oder auch nicht sofort danach gefragt hatten. Ich gebe allerdings zu, dass mir Namen nach 300 km bereits nicht mehr so leicht im Gedächtnis bleiben. Wir hatten eine recht lange Zeit Werner an unserer Seite, der uns schließlich bis nach Col de la Vue des Alpes begleitet hatte.
Als zugereistes Nordlicht (von Hamburg nach Freiburg), hatte ich versehentlich nach seiner, für mich zu diesem Zeitpunkt offensichtlichen, nicht-deutschen Herkunft, gefragt. Es war wegen seines Dialektes, bzw. Aussprache, die ich fest in den skandinavischen Bereich einordnete. Leicht verstört und wohl auch etwas (zu Recht) verärgert, mahnte er mich an: „Hey, ich komme aus dem Allgäu!“ Hmm… betretenes Schweigen von meiner Seite, um ihn dann aufzuklären, dass meine Mutter aus Schweden stammt und sie hat eine verblüffend ähnliche Aussprache!
Ok, die Sache, bzw. das Missverständnis, war geklärt und das Thema war abgeschlossen. Mir ist es irgendwie aber immer noch peinlich…

BRM600 2011Es ist halt doch netter wenn man in einer Gruppe unterwegs ist und sich, wie bei uns in La Chaux-de-Fonds geschehen, gegenseitig austauscht und beratschlagt wenn man sich z.B. ordentlich verfahren hat. Es ist eben diese Gemeinschaft und Hilfsbereitschaft, welche die Randonneure vereint. Intensiv habe ich das beim 400er erlebt, als ich mich durch einen unglücklichen Zwischenfall plötzlich liegend auf dem Asphalt wiedergefunden habe. Es ist zum Glück nicht viel passiert, aber alle Mitfahrer haben sofort geholfen und Mensch und Rad wieder auf die Beine, bzw. Räder gebracht.
Es ist das unsagbar schöne Gefühl, wenn man sich plötzlich, wie beim Anstieg in den Franches Montagnes kurz vor La Chaux-de-Fonds, ungewollt in einem Radrennen (Tour de Franche-Comté) befindet, und die Zuschauer uns genauso aufmunternd beklatschen und zujubeln, wie den Profis die uns kurz darauf wie einen Turboexpress überholen. Den Anstieg in so einem hohen Tempo hochzujagen, war für mich dermaßen überraschend, dass ich fast erneut vom Rad gefallen wäre.
Zu Dritt haben wir für uns dann aber doch die Bergwertung gewonnen und sind überglücklich ins Labyrinth von La Chaux-de-Fonds gedonnert. Ca. 5 km Umweg hatte es uns schließlich gekostet, da die Stadt wegen des Radrennens überall gesperrt war und wir die Abzweigung verpassten.

Endlich am Col de la Vue des Alpes angekommen, war mein Kreislauf längst nicht mehr dort wo er eigentlich hingehört. War´s das jetzt? Schwindelanfälle gepaart mit totaler Erschöpfung und leichten Bewusstseinseintrübungen waren mein Problem. Ok, die ganze Tour über hatte die Sonne ordentlich für Hitze gesorgt und dazu kamen die entsprechenden Anstiege.BRM600 2011
Wir trafen andere Pausierende, die anscheinend ebenfalls neue Energie in Form von Spaghetti, Cola etc. tankten. Vermutlich ahnten sie schon, dass die nächste Etappe durch Gewitter, Regen und Kälte sehr anstrengend wird. Wir saßen drinnen (es fing an zu regnen) und philosophierten über dieses und jenes. Die meisten Gesichter waren überwiegend fröhlich und wohlgestimmt, nur mein Antlitz war weiterhin kreidebleich, wie Jörg feststellte. Zu meiner Überraschung brachte etwas Ruhe, Essen und Trinken meinen Kreislauf wieder auf Betriebstemperatur, und Chris und ich stürzten uns in die verregnete Passage zum nächsten Kontrollpunkt, den sibirischen Teil (La Brevine, la sibirie de la Suisse, wie ein Schild schon als eine Art Warnung verlauten ließ) der Strecke herunter. Es war unangenehm, aber zum Glück fuhren auch wir später dem Gewitter nur noch hinterher. Die Klamotten hielten dicht, allerdings hätte ich mir ab und an einen eingebauten Scheibenwischer für meine Brille gewünscht. Es wurde dunkel und bei der Abfahrt nach Pontarlier wurde mir und meinen Füßen dann doch immer kälter. Meine Stimmung begann in den Keller zu sinken. Diese Anstrengung…diese Konzentration im Dunkeln zu fahren…Kälte…Aufkommende Müdigkeit….Diese Erfahrungen gehören wohl leider auch zum Leben eines „verrückten, rollenden, Vagabunden“. Chris kannte das schon und weiß daher bescheid, wenn ich plötzlich stiller werde, oder vor mich hinfluche. Er schlägt dann entweder Pausen vor, oder ignoriert mich einfach (was am besten ist). Aber dieser  Zustand, das weiß ich mittlerweile, geht irgendwann wieder vorbei.

In Pontarlier dann kurz die nassen gegen trockene Socken ausgetauscht, und weiter ging es nach Champagnole, zu einem meiner größten Highlights dieses Brevets: Die Pizzeria „Big Ben“. Diese unglaubliche Atmosphäre! Dieser verrückte Wirt! Diese irre Deko! Und mittendrin? Total entspannte Randonneure! Das war der Hammer!BRM600 2011
Chris und ich setzten uns zu einer Gruppe an den ersten Tisch und mussten zunächst diese vielen, auf uns einströmenden Eindrücke verarbeiten. Die Musik hatte sich wohlwollend dem Altersdurchschnitt der Gäste (fast ausschließlich Randonneure) angepasst: 60er-70er-Jahre Rock. Anscheinend war es ein Grund mehr, warum die meisten der Mitfahrer schon seit geschätzten Urzeiten in diesem wirklich verrückten Schuppen „verhockten“. Nach einer leckeren Pizza, Limo (Cola gab es zwischenzeitlich nicht mehr) und ein paar netten Gesprächen, hatte die Welt auch uns wieder! Aufgewärmt und mit Diskobeleuchtung (wie ein Mitfahrer mir noch hinterher rief), ging es nach Salin-les-Bains. Die letzten Kilometer vor dem Ort hatte uns Jochen, dank seines Mega-Strahlers am Rad, den Weg durch die Abfahrten ausgeleuchtet. Ich war wirklich beeindruckt von dieser Helligkeit. Im Vergleich dazu, hatten unsere Batterie-Funzeln wirklich nur eine Alibi-Funktion. Jochen versuchte noch, uns zur Weiterfahrt zu überreden, aber wir mussten leider ablehnen. Das empfohlene „Hotel EC“ war leider nicht auffindbar, also musste der Waschraum eines Campingplatzes für ca. 3 Stunden als kurzfristiges Lager herhalten. Trotz trockener Klamotten und Biwaksack, fror ich wie Espenlaub. Zudem war ich noch dem Luftzug des offenen Raumes ausgesetzt. Chris meckerte derweil über seine dünne Unterlage, die er zu Gunsten des geringeren Gewichtes, seiner Isomatte vorgezogen hatte.  Um 5:30 und mehr oder weniger Schlaf, ging es dann zum Frühstück gen Gonsans. Unterwegs gesellte sich ein Mitfahrer dazu, der befürchtete nicht mehr rechtzeitig anzukommen, wenn er bei seiner schlafenden Truppe blieb. Passend wartete er bereits an dem Bushäusle auf die richtige Mitfahrgelegenheit. Ich möchte mich an dieser Stelle bei ihm (den Namen habe ich leider nicht erfahren) für meine evtl. etwas wortkarge Konversation entschuldigen. Unser Begleiter aus Hamm (?) schien sehr guter Dinge und zeigte, im Gegensatz zu uns, keinerlei Ermüdungserscheinungen. Immerhin wussten wir jetzt, dass wir nicht die letzten der Tour waren, das „Groupetto“, denn wir überholten mal ein paar Radler, oder wurden selber überholt.

Aromen und andere Glücklichmacher

In Gonsans angekommen, saßen bereits, bzw. schliefen immer noch Mitfahrer vor und an der Hauswand des nächsten Kontrollpunktes. Und das in der prallen Sonne, die für mich bereits mit gefühlten 40 Grad strahlte. Die Boulangerie war klein und fast zu übersehen, aber was ich drinnen sah überstieg wahrhaftig meine Vorstellungskraft: Dieser unbeschreibliche Duft; diese köstlichen Croissants; Törtchen zum dahinschmelzen…
Ich war noch nicht einmal aus dem Laden wieder raus, da musste bereits eines dieser knusprigen, gold-gelben, buttrigen Croissants fast vollständig in meinem Mund verschwinden. Woher wussten Walter und Urban, dass das Croissant-Paradies ausgerechnet in einem kleinen, unscheinbaren „Kaff“ wie Gonsans liegt?
Unser Mitfahrer aus Hamm (?) kam zu uns rüber und bedankte sich in Form je einer Mozartkugel bei uns für die nette Mitfahrt. Unglaublich! Dabei habe ich bei der Fahrt nach Gonsans kaum ein Wort herausbekommen. Umso mehr hat mich diese Geste natürlich gefreut. Ja,… so sind sie, die Randonneure: Sie vergeben einem schon mal kleine, müdigkeitsbedingte Hänger, und suggerieren einem auf liebe Art, dass man sie bestens unterhalten hat…
Glücklich und zufrieden ließ ich mich dann im Schatten an einer Mauer nieder und versank für 5 Minuten in meinem „Croissant-und-Törtchen-Schlaraffenland“, bevor mich Chris unmissverständlich aus den Träumen riss und zur Weiterfahrt drängte.
Nach 2 Kilometern war die Fahrt allerdings wieder vorbei, als Chris kurz ins Gebüsch huschte und nach einem weiteren Kilometer dann feststellen musste, dass er seine Hüfttasche eben dort vergessen hatte…
Also habe ich ca. 20 Minuten oben am Anstieg gewartet, weil sich Chris zwischenzeitlich auch noch verfahren hatte…Na, super!BRM600 2011
Unser sicher geglaubter Zeitvorsprung war dahin. Also hieß es: in die Pedale, Schmerzen ignorieren (Gesäßprobleme machten sich mittlerweile bemerkbar) und im Sauseschritt nach Vesoul. Hinter Baume-les-Dames überholten wir ein Pärchen, welches wir später wieder bei der Feuerwehr antreffen sollten.
Ewig lang schien mir dieser Abschnitt. Kurz vor Vesoul, mit diesen Auf und Abs  der Hauptstraße (Waren es vielleicht die von Walter und Urban beschriebenen Kaugummi-Hügel?), die am Horizont kein Ende zu nehmen schienen, bat ich Chris in Tränen aufgelöst um eine kurze Pause. Meine Haut hatte sich wundgescheuert und die Schmerzen waren kaum noch zu ertragen. Ich konnte unmöglich die verbliebenen 170 Kilometer im Wiegetritt fahren! Pure Verzweiflung machte sich breit. Anscheinend ein wohlbekanntes Problem und vieldiskutiertes Thema in der „Szene“, wie ich später von Alfred im „Augustiner“ erfahren sollte. Zum Glück hatte ich noch eine letzte Novalgin (Schmerztablette) und eine leicht schmerzstillende und heilfördernde Hunde- und Katzensalbe (von Chris, er ist Tierarzt). Diese Kombi, zusammen mit dem festen Willen rechtzeitig anzukommen, half mir dann auch, die Schmerzen in einem erträglichen Rahmen zu halten.

Die Pause bei den netten Feuerwehrmännern und –frauen in Vesoul, war willkommen für ein kurzes Augenschließen und einem sympathischen Plausch mit dem nachfolgenden Pärchen. Sie erzählten von „Trondheim-Oslo“ und den hilfsbereiten Sanitätern an den Kontrollpunkten, die für diese Fälle (Hautreizungen an bestimmten Stellen) die ultimative Geheimwaffe, in Form einer Salbe, parat hielten. Ob ich jemand in der Station mal nach so einer Salbe fragen sollte? Ich ließ es bleiben, zumal ich eh nicht in der Lage war, einen so pikant und auch komplizierten Sachverhalt ins Französische zu übersetzen. Mein Schulfranzösisch war knapp 23 Jahre her.

Also verließen wir die fröhliche und zuvorkommende Feuerwehrstation mit dem mittlerweile eingenickten Pärchen und machten uns auf die letzte Etappe nach Freiburg auf.
Erstaunlicherweise war die Müdigkeit wie weggeblasen, und Chris erging es genauso. Die folgenden Anstiege bereiteten keinerlei Mühe, was uns wirklich verwunderte! Ist das normal? Hat sich der Körper nach 500 km etwa in eine „Scheiß-egal-Mentalität“ verwandelt, oder lag es vielleicht doch an den Guaranatabletten, die das Koffeinverlangen in viel sanftere aber auch auf wirkungsvollere Weise stillten? Oder an allem zusammen?
In Ensisheim füllten wir unsere Flaschen ein letztes Mal mit einem Cola-Wasser-Gemisch auf und Chris entdeckte doch tatsächlich noch ein Stück Wildschweinsalami in seiner Lenkertasche! Da haben wir uns die ganze Zeit von salzigen Nüssen (sehr zu empfehlen!), belegten Broten und selbstgemachten Riegeln ernährt, aber das kulinarische Highlight schlummerte unbemerkt seit über 500 km in seiner Tasche! Nun gut, das Andechser rief und wir rollten die letzten Kilometer über die wirklich holprige Straße vor Fessenheim und seinem AKW. Das war in der Tat der absolute Super-GAU  für mein geschundenes Hinterteil! In Bremgarten holten wir uns je ein Ticket und machten uns  im schnellstmöglichen Tempo auf nach Freiburg. Da uns die Strecke als ansässige Freiburger bestens vertraut ist, war es ein besonders schönes Gefühl und Bild, hinter dem Wäldchen vom Eugen-Keidel-Bad die Silhouette der Stadt zu erkennen. Wir waren fast wieder zuhause! Chris und ich entschlossen uns kurzerhand an der Dreisam zu einer Katzenwäsche. Wir wollten die anderen Gäste des „Augustiner“ nicht mit unseren gesammelten Ausdünstungen nach 600 Kilometern belästigen. Diese Aktion hätten wir uns aber wohl ersparen können, nachdem wir gegen 21:30 glücklich, zufrieden und noch recht fit, im Augustiner ankamen. Dort war fast der gesamte Außenbereich noch von Randonneuren besetzt. Egal, wir sind halt wohlerzogen und außerdem tat die Erfrischung sehr gut.

Der Stempel war abgeholt, Cola-Weizen (fürs Erste besser) und Spaghetti bestellt, und wir bereits in ausführlichen Gesprächen mit den z.T. schon vor Stunden angekommenen Randonneuren vertieft. Alex, der Kellner, gesellte sich später beim Bezahlen dazu und hatte anscheinend das erste Mal das dringende Bedürfnis, sein Herz auszuschütten. Wir kennen ihn als freundlichen, sehr aufmerksamen, aber eher zurückhaltenden Menschen. Aber plötzlich sprudelte es aus ihm heraus, als hätten Randonneure (nach 600 Kilometer Radfahrt und knapp 38 Stunden, kaum Schlaf und 4000 Höhenmetern in den Beinen) das gewisse „Hör-mir-zu“-Gesicht. Oder aber Randonneure zeichnet eben doch das „Wir-Gefühl“, das Zuhören und das Kollegiale aus. Wie wir erfahren konnten, ist Alex laut eigener Aussage nicht unbedingt der sportlichste Geselle und sah uns bei der Ankunft eher mit mitleidenden Augen an. Aber er fühlte sich scheinbar ebenso wohl in dieser Gesellschaft, wie ich, Chris und die meisten anderen auch. Immerhin konnten wir so erfahren, dass das Augustiner den ganzen Aufwand der Brevets mit ein paar wenigen Leuten stemmt. Alex arbeitet teilweise 12 Stunden durch, und hat dennoch den Laden im Griff, ohne seine gute Laune dabei zu verlieren!
An dem heutige Tag waren sie nur zu zweit, da es sehr schwierig ist, gutes und zuverlässiges Personal zu finden. Wahnsinn! Da kamen Chris und ich auf der Heimfahrt etwas ins Grübeln, schließlich ist das Augustiner so etwas wie eine zweite Heimat geworden. Die Randonneure begeben sich u.a. aufgrund von Abenteuerlust etc. auf anstrengende, sehr lange Touren. Jemand wie Alex arbeitet dagegen über 12 Stunden am Stück, fast jeden Tag, und ist dennoch immer gut drauf! Er und seine Kollegen versorgen uns dazu noch schnell mit schmackhaftem Essen und köstlichen Getränken. Das verdient meinen absoluten Respekt!
Als wir kurz vor 24 Uhr das Augustiner verließen, kamen uns dann die letzen „Verrückten“ des 600er entgegen, die es endlich auch geschafft hatten. Sichtlich erschöpft, aber glücklich, freuten sie sich ebenfalls auf ein leckeres Essen und ein paar kühlen Getränken.

Unser Begleiter (nach Gonsans) aus Hamm (?), verabschiedete Chris und mich dann noch mit den Worten: „Ihr wart für mich die Farbtupfer auf dieser Reise…!“

Was gibt es für ein schöneres Kompliment als solch warmen Worte von einem Randonneur an andere Randonneure?
Denn jetzt weiß ich ja: Wenn mich heute jemand fragt, was einen „fahrenden Wanderer“ ausmacht, dann antworte ich ihm:
„Es ist ein rollender Farbtupfer, mit einem Ziel vor Augen, irgendwie auch auf dem Weg zu sich selbst, aber mit einer unbeschreiblichen Freude im Herzen, dabei zu sein…!“

Ich werde dann mein Gegenüber zu einem Andechser einladen und ihm ausführlich von meinen bisherigen Begegnungen, Erlebnissen und Gedanken erzählen…

Vielen Dank an Walter, Urban (für diese schönen Strecken und die perfekte Organisation); unseren tollen Begleitern auf dieser anstrengenden Tour, die uns so nett unterhalten haben (Sorry, wenn ich evtl. Namen falsch wiedergegeben oder vergessen habe, ich arbeite dran!) und natürlich Alex und das gesamte Team aus dem Augustiner für den Service und die Geduld mit uns „verrückten, rollenden Vagabunden“

Hoffentlich bis bald!
Christina