Breisgau-Brevet 2010

Autor
Urban Hilpert
Datum
10.04.2010

Ja, da hat man alle möglichen und unmöglichen Befürchtungen und Sorgen, versucht, alles zu tun um Problemen und Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen und zu vermeiden und dann passiert einem das: Ein perfekter, ein wunderbarer Tag. Mit vielen Überraschungen. Und wie es sich für einen wunderbaren, perfekten Tag gehört, waren sie alle mehr als nur positiv…

Schon wenige Meter nach dem Start war mir sonnenklar, dass ich heute eine ganz „ruhige Kugel schieben“ würde, wie Walter eine 200 Kilometer Radtour mit 2100 Höhenmetern um die zehn Stunden so zu nennen beliebt. Na ja, ich kann damit leben… Hatte da nicht sogar eine leichte Spur von Neid in seiner Stimme mitgeschwungen?BRM200 2010

BRM200 2010

Wir rollten alle zusammen in Richtung Ibental, nachdem Walter und ich die Startkarten und Unterlagen ausgegeben und die Teilnehmer begrüßt hatten. Nun hatten wir zumindest zu jedem der achtzig Namen mal ein Gesicht gesehen, leider blieb uns nicht viel Zeit, den ersten Eindruck zu vertiefen und ich fürchte, ich kann schon beim nächsten Mal nicht mehr allen Gesichtern die dazugehörigen Namen zuordnen. Sie mögen´s mir bitte verzeihen. Aber es waren natürlich auch viele „alte“ Bekannte und Freunde dabei, die Wiedersehensfreude war entsprechend, die Stimmung unter all den Bekannten und Unbekannten war locker, entspannt und freudig, Gelächter allenthalben. Besonders freuten wir uns so viel Schwyzerdytsch zu hören - keine Angst, redet bitte mit uns wie Euch der Schnabel gewachsen ist, verstehen tun wir alles, nur mit dem Sprechen hapert es noch, auch wenn ich nördlich der Main-Linie oft für einen Landsmann von Euch gehalten werde. Auch unsere westlichen Nachbarn waren mit einer kleinen Fraktion vertreten - das können gern noch ein paar mehr werden !! Es wäre schön, wenn wir mit unserem Standort ein Treffpunkt der Radler über alle Grenzen hinweg sein könnten. Die Strecken sind nicht umsonst so gewählt...

Kaum hatte ich mal Zeit, zum noch jungfräulichen Frühstücksbuffet zu schauen und da wurde ich zum ersten Mal an diesem Tag richtig überrascht – ich wusste zwar, dass Bodo und sein Team gute Arbeit leisten, aber mit einer solcher Pracht und Fülle hatte ich nun wirklich nicht gerechnet.

Ein aufgeräumter, bunter Haufen in glänzender Stimmung und Vorfreude – Sonne und Himmel versprachen einen traumhaften Frühlingstag im Breisgau. Das hatte man nur hoffen können – aber gerechnet hatte ich damit nicht. Schon nach wenigen Kilometern im Ibental war das ganze Feld in den steilen Rampen komplett zerbröselt, weit auseinandergezogen und in einzelne Gruppen und Grüppchen aufgesplittert. Ich hielt mich irgendwo im hinteren Drittel auf - das zumindest war zu erwarten gewesen…

Der weitere sonnige Aufstieg über St. Peter nach St. Märgen war durch weite Blicke hinüber zum weißverschneiten Feldberg unter blauem Himmel geprägt, bevor wir ins enge, eisige Hexenloch hinunterstürzten, wo sich noch immer zäh die Schneereste an den Straßenrändern halten. Es war wirklich eisig da unten – gefühlte Temperaturen von unter dem Gefrierpunkt…

Erst als wir die enge und wilde Schlucht des Wildgutachtals hinter uns gelassen hatten, erreichte uns wieder die Sonne und in Simonswald, der ersten Kontrolle fielen schon die ersten Hüllen. Die Bäckerei Wölfle – es war ein einst kurzer Besuch im Winter zu zweit und ein ganz kurzes Telefonat vor wenigen Tagen gewesen, mit dem ich einen Haufen Radler angekündigt hatte: Empfangen wurden die Randonneure mit teils kostenlosen Butterbrezeln und Herzlichkeit, Tischchen zum Stempeln draußen – alles perfekt. Das hatten wir so perfekt nicht organisiert, damit hatte ich nicht gerechnet…

Ich hatte nur gestempelt und war sofort weiter gefahren, der Randonneur war in mir durchgebrochen, ich wollte nur meine durch einen Plattfuß verlorene Zeit wieder gut machen (Danke, Uli für die Hilfe) und den Tom einholen. In der 17% Rampe auf die Gscheid gab ich alles und wurde dennoch eingeholt - von meinem schlechten Gewissen. Ich hatte mit der guten Frau Wölfle noch nicht einmal ein paar Worte gewechselt und ordentlich Dankeschön gesagt (inzwischen nachgeholt). Der Randonneur mit seinem Tunnelblick vergisst unter dem Primat der Zeitersparnis einfach fast alles und jeden, alles, was nicht seinem direkten Vorankommen dient. Was einerseits die Faszination des Langstreckenradfahrens ausmacht ist eben manchmal auch ihr Fluch…

Schon bald sah ich dann auch Toms rotes ARA-Trikot vor mir in der Sonne leuchten und wir radelten zusammen weiter, auf dem kleinen, versteckten Sträßchen, das ich so mag, nach Allmendsberg hoch, der Uli holte uns auch wieder ein und so strebten wir im lockeren Verbund mit verschiedenen Radlern und Grüppchen der Ebene und zweiten Kontrolle entgegen.

BRM200 2010

Der Edeka Kässheimer in Wyhl – genau wie in Simonswald: Bierbänke, Sonnenschirme, ein Willkommensschild und überaus herzliche und effiziente Bedienung, über das richtige Ausfüllen der Stempelkarte wurde ich belehrt – das hatten wir so perfekt weder organisiert noch erwartet… Es war warm jetzt, richtig warm, fast 20°. Badische Lebensfreude, Gastfreundschaft und – Wärme. Paarweise streckten sich käsweiße Radlerbeine, die dieses Jahr noch keinen Hauch von Sonne gesehen hatten, dem Licht entgegen und die Gesichter, in denen der vorangegangene Schwarzwald durchaus schon Spuren der Anstrengung hinterlassen hatte, strahlten trotzdem mit der Sonne um die Wette…

BRM200 2010Alles schien uns zuzufliegen an diesem wunderbaren Tag.

Nach Wyhl drehten wir genau in diesen massiven Rückenwind, der uns Richtung Kaiserstuhl blies. Das war jetzt richtig ungewöhnlich, die nächste Überraschung. So hatte ich das ja überhaupt noch nie erlebt – Nordwind im Frühling heißt in der Rheinebene eigentlich Kälte. Die Wärme kommt nun mal von Süden. ..

Kirschblüte im Kaiserstuhl. Die kleinen Sträßchen durch die Weinberge. Man sollte es gesehen haben, sie gefahren sein…

Selbst die sonst öde, flache Rheinebene wurde zum Highlight. Mit dem Blick auf die Höhen des Schwarzwalds zur Linken pustete uns unser Freund, der Nordwind nach Süden, dass es eine wahre Freude war.

BRM200 2010Das Gruppenfahren machte Spaß, besondere Freude hatten wir an den jungen Freiburgern Jan und Philipp, die ihr erstes Brevet absolvierten und die so herrlich unverkrampft an die Geschichte herangingen. Wie viele von meinen Freunden und Bekannten hatten gezögert und sich nicht angemeldet - „Was, 200km – so früh im Jahr?“ „Und dann noch über 2000 Höhenmeter ? Ich bin doch noch gar nicht in Form!“ Philipp und Jan machten sich nicht allzu viel Gedanken, meldeten sich spontan an und fuhren einfach mal mit, sogar mit geliehenem Rad, hatten ihre Freude dran und kamen letztendlich gut mit uns ins Ziel. Wär schön, Euch wieder mal bei uns zu haben, Talent und richtige Einstellung wird hiermit bescheinigt. Nur eins noch für unsere jungen Freunde: Das Wort „Unmenschlich“ benutzt ein Randonneur niemals im Zusammenhang mit einer Steigung, selbst wenn er fast an ihr verreckt. Er wird mehr Worte benutzen, z. B. „na ja, ganz flach ist die Strecke ja nicht“ oder „letztes Jahr beim 1200er, da waren fünf so Dinger in Reihe geschaltet und das bei Kilometer neunhundertachtundzwanzig“. Wenn die Luft nicht mehr reicht als zu einem Wort, dann sagt er vielleicht: „Schön!“ oder „Endlich!“, als Äußerstes quetscht er vielleicht ein „Knackig“ durch die Zähne. BRM 200 2010Wenn auch dies vor Atemnot nicht mehr geht, versucht er die Gesichtszüge zu entspannen und so was wie ein Lächeln zustande zu bringen und siegesgewiss um sich zu schauen, als ob so ein Bergle das Normalste von der Welt wär. Das Wort „unmenschlich“ benutzt ein Randonneur, wenn ein Brevet z.B. wegen Schneesturm abgesagt wird oder er einen Reiter sieht oder er in der Fußgängerzone vom Rad steigen muss. Ich war in besagter Steigung zwar allein unterwegs, aber ein Organisator hat seine Ohren halt überall im Feld verteilt...

Die Hügel des Markgräflerlands fordern von jedem noch einmal Überwindung und wenn gewünscht, kann sich jeder an ihnen noch einmal so richtig austoben und ordentlich Laktat in die Beine pumpen.

BRM 200 2010Wenn nicht, schweift der Blick eben noch öfters über die Streuobstwiesen und Hügel weit über die Rheinebene bis hin zu den Vogesen, die sich am Samstag allerdings hinter dem Frühjahrsdunst verbargen. Die „Toscana Deutschlands“, auch eine meiner Lieblingslandschaften. Wir erreichten Freiburg, kamen zum Augustiner – ins Ziel.

Tom wurde mal wieder zum Philosophen: Das Allerschönste an jedem Brevet ist dann ganz eindeutig immer der Moment, in dem man ankommt. Das wirklich Dumme ist nur, dass man immer wieder starten muss um das zu erleben! Aus diesem Teufelskreis ist wohl noch kein Randonneur ausgebrochen…

Wir genossen die Biere und Gesellschaft der noch Anwesenden – leider waren schon Viele Richtung Heimat aufgebrochen bzw. schon zu Hause - und begrüßten die noch Ankommenden. Was Walter und mich ganz besonders freute: Alle, die heute Morgen mit uns gestartet waren kamen wohlbehalten im Zeitlimit im Ziel an. Und auch noch der Letzte bestätigte uns, einen herrlichen Tag gehabt zu haben.

Schon der Tag darauf war dann wieder kalt und regnerisch, im Schwarzwald schneite es sogar. Unser gestriger „Freund“, der Nordwind hat ganze Arbeit geleistet und die schöne Wärme vertrieben. Irgendwie macht dies für mich diesen Tag als Geschenk fast noch wertvoller und macht uns überdeutlich, was wir für ein Glück wir doch gehabt hatten. Unser erstes offizielles Brevet war wohl für viele Teilnehmer und auch für uns Organisatoren etwas ganz Besonderes, eine von den Touren, die in Erinnerung bleiben wird.

 

Nach dem Brevet ist vor dem Brevet. Ingmar aus Freiburg schickte mir ´ne Mail, dass die Straße von Staufen nach Neuenweg letztes Jahr monatelang komplett gesperrt gewesen sei. Klar, das hatten wir am eigenen Leib erlebt, es war im späten Herbst gewesen, als wir die Strecke abgefahren waren – aber wir hatten uns weiter darüber keine Gedanken gemacht – der April 2010 war ja noch weit.

Jetzt bekam ich es mit der Angst zu tun – diese Straße ist wirklich entscheidend wichtig für unseren 300er – ansonsten müssten wir so richtig durch den Schwarzwald oder weit außen rum durch die Rheinebene und der 300er wäre keiner mehr. Mein Gott, die ganze Streckenplanung noch mal von vorn aufzurollen... Ich fragte Dino aus Staufen (liegt am Fuß dieser Steigung) ob er was darüber wisse – er unternahm von sich aus dankenswerterweise einen Telefonmarathon  vom Rathaus übers Landsratsamt bis hin zum Regierungspräsidium – Langstreckenfahrer sind zäh – und die teilten ihm, dass die Straße wieder komplett gesperrt wird. Ab dem 26.04.2010, zwei Tage nach unserem Brevet. Ist das nicht unglaublich?

Möge der Glücksstern, der bisher über unseren Brevets schwebt, doch ein Fixstern sein…