Flucht ins Massenlager - Bericht vom Jura-Brevet (600 km)

Autor
Christoph Molz
Datum
02.07.2015

Zum letzten Mal in diesem Jahr sitzen wir im Augustiner beim Randonneursfrühstück. Der Kreis der Mitfahrer beim 600er Brevet ist dieses Mal überschaubar, da nur 90 Teilnehmer zugelassen waren, wovon wohl einige nicht erschienen sind. 6000Hm stehen auf der Tagesordnung: Urban hat auf die ehemals 5700Hm was draufgepackt. Christina hat sich eine Erkältung eingefangen, ist aber guter Dinge.  BRM600 2015An der ersten  Steigung Richtung Bollschweil zerstreut sich die Gruppe erstmal. Auf den nächsten Kilometern sammeln wir wieder Leute ein, so dass sich eine Kleingruppe von gut 10 Radfahrern Richtung Porrentruy macht. Es ist schon früh am Morgen recht warm. In Rixheim im Elsaß verfahren wir uns erstmal.BRM600 2015 Ich bin vorne in der Gruppe, Christina ist hinten. Die Führenden suchen nach dem richtigen Weg und halten an, um auf die andere Seite der rechts liegenden Gleise zu kommen. Das kommt weiter hinten wohl nicht recht an: Ich höre einen Sturz und quietschende Bremsen eines Autos. Ich drehe mich um  und sehe ein Bild, das mir nicht mehr aus dem Kopf geht: Christina liegt auf der Straße, mit dem Kopf unter dem vorderen linken Kotflügel eines entgegenkommenden Autos, welches durch eine Vollbremsung das schlimmste verhindert hat! Die Frau am Steuer ist kreidebleich und schockiert, ebenso wie wir Mitfahrer. Ich begleite  Christina auf eine Bank und desinfiziere die Schürfwunden. Nach gut 10 Minuten können wir weiterfahren, natürlich wieder mal alleine. Wir kämpfen uns gegen den Wind bis nach Porrentruy. BRM600 2015Unterwegs sehen wir viele umgestürzte Bäume und fahren durch Schlamm auf der Straße, der mich einmal fast stürzen lässt. Überall stehen Feuerwehrwagen, die die Straßen räumen. Die Region wurde wohl in der Nacht von einem Unwetter heimgesucht. BRM600 2015In Porrentruy finden wir unsere Gruppe wieder. Nach kurzem Stopp fahren wir weiter. Der erste steilere Anstieg auf den Col de Montvoie ist sehr anstrengend: es ist jetzt richtig heiß, und das erste Stück verläuft in der prallen Sonne. Nach 2 km wird es dann etwas besser; wir haben zumindest zeitweise Schatten. Nach einer sehr schönen Abfahrt ins Doubstal (die Straße mit den gefürchteten Querrillen wurde wohl ausgebessert) fahren wir zu viert das sehr schöne  Tal hinab und das nicht minder schöne Dessoubretal hoch. Dann hat der Spaß ein Ende: es geht steil bergauf Richtung Maiche.  Die Hitze und der steile Anstieg setzen uns sehr zu. Mein linkes Knie  macht wieder, wie schon bei den anderen Brevets, leichte Probleme. Ich nehme mir vor, die Übersetzung zu ändern. Nach Maiche wird es kaum besser: es geht in Wellen weiter bergauf; die erneute Abfahrt ins Doubstal will nicht kommen. Stunden später haben wir es geschafft und rollen wieder bergab.  Der nächste Anstieg nach La Chaux de Fonds ist ebenfalls sehr anstrengend. Christina hat inzwischen  ihre Kraftreserven verbraucht und muss Pause machen; die Erkältung fordert ihren Tribut. Mir geht es nicht viel besser. Wir quälen uns hoch und realisieren, dass wir ordentlich Zeit verloren haben.  In Chaux de Fonds verfahren wir uns natürlich mal wieder, weil wir die Abzweigung Richtung Autobahn übersehen. Wir fragen uns durch. Ich realisiere langsam, dass es mit dem Durchkommen sehr schwierig werden wird. Christina quält sich hoch zum Gasthaus Vue des Alpes, welches wir kurz nach 21 Uhr erreichen. Jetzt ist erstmal Pause angesagt mit Analyse der Situation. Ober sitzen recht viele Randonneure herum, von der Hitze des Tages gezeichnet. Es dämmert, und mir dämmert es auch: wir werden wohl abbrechen müssen. Ich bin müde und habe keine Lust, mit Zeitdruck durch die Nacht zu fahren, und Christina ist völlig fertig. Die mentale Situation ändert sich auch nach einer sauteuren Portion Spaghetti (22 Euronen!) und zwei Panache nicht. Und: was ist der Brevet ohne Big Penn in Champagnole?...Wir bleiben oben und wünschen den weiterfahrenden viel Glück. Für 40 Euro pro Person (!) gehen wir in ein Massenlager.

Epilog:
Am nächsten Morgen fahren wir dieselbe Strecke wieder zurück. Es läuft wieder viel besser; die Nacht hat gut getan. Wir finden auch in Chargement einen Supermarkt, der am Sonntag geöffnet ist.  Ich freue mich auf den zu erwartenden Rückenwind im Rheintal.  Zu früh gefreut: der Wind hat doch tatsächlich gedreht! So wird auch der Rückweg anstrengend! Die anderen tun mir jetzt richtig leid, denn sie haben ja noch 200km mehr in den Beinen!
Nach dem Wochenende suchen wir nach Alternativen und werden schnell fündig: im Elsass und kurz dahinter werden noch 600er angeboten mit weniger Hm. Nachdem sich die Erkältung von Christina 3 Tage nicht ganz unerwartet verschlechtert, beschließen wir, am nächsten Wochenende Pause zu machen und die Woche darauf in Epinal zu starten, ca. 150km weg von Freiburg.