Die Persistenz des Sei(h)enden – aus Sicht eines (Fast-)Novizen

Autor
Ralf Wittmann
Datum
04.05.2014

BRM200 2014Irgendwie hat mich der Titel des radphilosophischen Artikels von „unserem Walter“ in den Bann gezogen und zu einigen Gedanken verleitet.

Von weiter außerhalb, aus der Pfalz, wo die Hügel sich nicht im vierziffrigen Bereich angeben lassen und wo man Höhenunterschieden à la Schwarzwald noch ehrfurchtsvoller gegenüber steht, komme ich her. Nicht unbedingt ein Novize in langen Radausfahrten, aber doch noch neu im „Brevet-Kreis“ folgte ich meinem Freund Matthias in den Breisgau – sicherlich auch, um im Sinne der „Persistenz des Seienden“ meiner Daseinsberechtigung einen weiteren Stempel aufzudrücken.  Vielleicht habe ich das bisher nur noch nicht so genau aus diesem Blickwinkel betrachtet?!
 
Bisher kann ich diesbezüglich – gemäß der Jungwirth`schen Anschauung – neben Geburtsurkunde, Familienstammbuch und lediglich einer Brevetkarte aus dem Vorjahr v.a. aufgehobene und in einem Ordner abgeheftete Startnummern verschiedener Ausdauerveranstaltungen sowie v.a. die „heiligen Tagebücher“ meiner langen Radwandertouren aus Schüler- und Studententagen geltend machen.
 
Sollten wir uns also demnächst auf die Apokalypse einlassen müssen wäre ich nicht ganz unvorbereitet und könnte mich in Anlehnung an die Weissagung der Cree zumindest mit folgendem Gedanken trösten:
Erst wenn der letzte Computer gerodet,
das letzte soziale Netzwerk vergiftet,
wir an der Existenz nagend
in der letzten Finanz- und Wirtschaftskrise gefangen sind,
werden wir feststellen, dass wir auch unser carnet nicht essen können -
aber zumindest uns immer an den damit verbundenen Abenteuern
und Erinnerungen mental erwärmen können.
 
Wo, wenn nicht auf der Passhöhe vom Rinken, vor der Abfahrt nach Hinterzarten, kann man schon erleben, dass ein drahtiger, weit über 70jähriger Radler auf seinem E-Mountainbike um die Ecke geschossen kommt und von Olympiaerfahrungen (ja sogar -sieg) spricht sowie von dreimal Trondheim-Oslo. Seinem trotz des Alters durchtrainierten Aüßeren nimmt man auch ohne Nachfragen ab, dass dies seinerzeit mit einem Rad ohne Vorsilbe „Elektro“ bewältigt wurde. Gruß an Georg Thoma.
 
Nebenbei bemerkt finde ich nicht nur das sonnenstrahlaufsaugend gelbe carnet de route als Sammlerstück wertvoll, sondern auch die Monate später völlig unverhofft im Briefkasten liegende Homologationsmedaille sehr ansprechend.

Solche Gedanken kamen mir beim Lesen von Walters Artikel in den Sinn, v.a. nachdem ich mir das Fremdwort „Persistenz“ mittels Lexikon erklären ließ. Sinngemäß hat es etwas mit „Überdauern von Etwas (Erinnerungen) in bestimmten Rückzugsräumen (Gedankenwelt)“ zu tun. Eine andere, einfachere Erklärung sieht darin „Beharrlichkeit“ und „Ausdauer“. In diesem Zusammenhang kam mir der Gedanke an das nicht ganz unabwegige Wortspiel mit der „Persistenz des Seihenden“.
 
Beim "Seihen" werden festere von flüssigen Bestandteilen getrennt, eine wässrige Masse also durch ein Tuch oder einen Sieb gepresst. So musste ich mir einen in Vorfreude verhafteten Grauhaarigen vorstellen, der in Erwartung auf den nächsten Brevettermin sich vorbereitet, um aus der Langeweile seines wie auch immer gearteten Lebensalltags im Himmel auszubrechen. Dann drückt er nämlich (mit einem Grinsen) die Wolken durch eine Art riesiges Himmelssieb, trennt dabei die festeren Bestandteile von den flüssigen, um letztere dann als Regen gen Erdboden zu schicken – der "Seihende" ein paar Stockwerke über uns in seinem Element! Und eine Ausdauer hat der mitunter dabei.
 
Manchmal, in Träumen, glaubte ich schon fast, ein angedeutetes Gesicht der irdischen Komplizen des Grauhaarigen in groben Umrissen erahnt zu haben ....
Da fiel es mir wie Schuppen aus den Haaren:  haben es unsere beiden lieben Organisatoren nicht geschafft, die Brevettermine mit großer Treffsicherheit auf Regentage zu legen?!
Was kann man sich auch Schöneres vorstellen, als – Vorsicht: gespielte Empörung! - stundenlang bei Regen durchs Rheintal zu radeln. Bereits schon zweimal in diesem Jahr - zumal auch am eigenen Geburtstag?!  O.k., vielleicht spiegelt dies nicht unbedingt die Traumvorstellung eines Wochenendes von unbeteiligten Familienmitgliedern oder auch ("Alltags-")Freunden dar ... aber was beschwer` ich mich über`s Wetter, die Tour ist letztendlich selbstgewollt.

An dieser Stelle muss ich geflissentlich verschweigen, dass mein erster Breisgau-Brevet überhaupt im letzten Jahr auf den gefühlt einzigen Sonnentag des "Frühjahrs" 2013 fiel.
Mein Mitleid über das Schicksal unserer beiden treffsicheren Organisatoren, die erst dann als "Spätstarter" auf die Strecke können, wenn alle gelben Dokumente mit Punkt oder Kreuz versorgt worden sind, hält sich dennoch in Grenzen. Schließlich sitzen Urban und Walter immer schon fröhlich im Augustiner, wenn ich dann endlich ankomme – vielleicht, weil die beiden gar nicht mehr in den Regen gekommen sind?  ;-)

Was bleibt ist die Erkenntnis, die Dokumente in der Zeit, in der sie mir anvertraut sind, sicher durch alle "Gefahren" durchzubringen, als da z.B. wären: Nässe ... Es ist also wichtig im Angesicht der Persistenz des Seienden, sein gelbes Scheinchen immer schön ins Trockene zu bringen. Damit nicht bei kompletter Aufweichung des gelben Papierchens die "Persistenz des Seihenden" über die "Persistenz des Seienden" triumphiert.